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marialeonautorin

Lina und der erste Winterschlaf

Aktualisiert: 5. Okt. 2023

Eine herbstliche Kurzgeschichte von Bo


Illustration eines Igel-Mädchens
© Jenne & Bo

Das ist Lina.

Lina ist ein junges Igel-Mädchen.


Und was macht ein junges Igel-Mädchen so die ganze Nacht?


Lina weiß nicht, was andere Igel-Mädchen so machen, doch sobald die Sonne untergeht, wacht Lina auf und streift durch den Wald. Den Wald kennt Lina gut; gleich am Rande des Waldes ist sie auf die Welt gekommen. Nun ist Lina ein paar Wochen alt und kommt schon sehr gut allein zurecht.


Ihre Mutter und Geschwister trifft sie nur noch ab und zu. Igel sind eben Einzelgänger, so liebt auch Lina es, allein durch das Unterholz zu streifen.


Eines Tages wacht Lina früher auf. Es ist zwar dunkel, doch hinter den Wolken strahlt die Sonne. Auf dem Feld sind Hasen unterwegs und am Waldrand huscht ein Eichhörnchen vorbei. Über den Feldern fegt ein kräftiger Regen und in den Bäumen im Wald rauscht es fürchterlich.


Ein Sturm.

Um Lina herum liegen so viele Blätter auf dem Boden. Irgendetwas ist anders als sonst.


Da saust ein Eichhörnchen an Lina vorbei. Es ruft ihr zu: „Lauf, Lina, lauf“ und flitzt auf den nächsten Baum. Lina weiß nicht warum, doch es wird schon seinen Grund haben. Also tippelt Lina auf ihren kurzen Beinchen zum nächsten Baum und huscht schnell zwischen die Baumwurzeln. Am Stamm hochklettern, wie das Eichhörnchen, das schafft Lina nicht.


Gerade unter den Wurzeln angekommen, da kracht ein anderer Baum dort auf den Boden, wo Lina eben noch gestanden hat.


Ach, herrje, der hätte mich voll erwischt, wenn da nicht das Eichhörnchen gewesen wäre, denkt Lina.


„Na, Lina“, hört sie von oben. Das Eichhörnchen ist den Baum wieder hinuntergeklettert und schaut in Linas Versteck: „Das war knapp! Ich weiß nicht, ob deine Stacheln so einen schweren Stamm aufgehalten hätten.“


„Wohl nicht“, erwidert Lina. „Aber was ist denn los? Warum fliegt alles durch die Gegend und warum ist der Baum umgefallen?“ fragt Lina verdattert. Karl, das Eichhörnchen, lächelt:


„Stimmt ja, das kennst du noch gar nicht.“


Lina ist irritiert: „Was kenne ich nicht?“


Karl deutet nach oben: „Sieh nach oben, fällt dir etwas auf?“


Lina schaut nach oben, aber was soll sie sehen? Sie hat schon oft auf dem Waldboden gelegen und in den Himmel geschaut. Die Baumwipfel schwingen im Wind kräftig hin und her, doch abgesehen davon fällt ihr nichts auf.


„Jetzt, wo die Wolken vor der Sonne sind und der Sturm die Bäume hin- und herbiegt, ist das vielleicht etwas schwer zu erkennen, aber wenn du genau hinschaust, dann siehst du, dass die grünen Blätter alle ganz bunt geworden sind.“


Stimmt, nun sieht Lina es auch. „Sind die Bäume krank?“, fragt Lina.


Igel auf herbstlichem Laub
Erstellt mit Canva

Karl muss lachen: „Aber nein – und doch hast du ein kleines bisschen recht. Die Bäume merken, dass der Herbst kommt, das Wasser in der Erde an den Wurzeln wird knapp. Sie sind nicht krank, aber sie geben ihren Blättern kein Wasser mehr ab, damit die Bäume erst den Herbst und dann den Winter überstehen“.


„Das verstehe ich nicht“, entgegnet Lina.


„Hast du nicht bemerkt, dass die Tage kürzer werden?“ Wie soll Lina das bemerken, schließlich schläft sie am Tage, aber nun, da Karl das sagt, kommt es Lina schon so vor, dass sie immer ein bisschen früher aufsteht. Auch am Ende der Nacht ist es immer noch ganz lange dunkel.


„Das ist der Herbst“,

erzählt Karl, „die Bäume bereiten sich auf eine schwere Zeit vor. Eine Zeit, in der es ungemütlich und kalt wird. Eine Zeit, in der die Nahrung knapp wird. Für uns Eichhörnchen ist jetzt die Zeit, Vorräte anzulegen, Eicheln und Zapfen zu sammeln, um diese zu verstecken. So haben wir im Winter an den Tagen Nahrung, an denen uns der Hunger aus dem Schlaf holt. Du als Igel hast es gut, du schläfst einfach durch.“


Da ist er, der Winterschlaf, denk Lina. Ihre Mama hat mal davon erzählt, doch Lina hat sich nicht dafür interessiert und jetzt ist er da und Lina weiß nicht so recht, was sie machen soll. Aber wenn Karl sagt, dass Igel einfach durchschlafen, dann kann sie wohl einfach auf den Winter warten. Aber was ist, wenn sie genauso wie Karl mitten im Winter aufwacht und dann kein Futter findet.


Karl erzählt noch ein bisschen und so langsam legt sich der Sturm. Die Sonne kommt noch einmal hinter den dunklen Wolken hervor. So sieht also der Tag aus, den Lina regelmäßig verschläft, grübelt sie, da verfängt sich ein weiterer Gedanke in ihr: Wenn die Eichhörnchen einen Vorrat anlegen, warum sollten das Igel nicht auch machen? Nur für den Fall, dass sie im Winter auch aufwachen sollte.


Als Karl sich wieder auf den Weg in den Wald macht, läuft Lina mit etwas Abstand hinterher, um ihn zu beobachten. Fleißig vergräbt Karl Nüsse und Zapfen im Erdboden.


So möchte Lina das auch machen. Doch Nüsse mag Lina gar nicht so gerne, Lina frisst viel lieber Insekten. Nur wie soll sie die Insekten verbuddeln? Die laufen weg und ohnehin, Lina fürchtet, die Verstecke nicht wiederzufinden. Also nascht Lina einfach gleich alles weg, was sie so finden kann und am Ende des Herbstes ist sie so voll gefuttert, dass sie sich nur noch eine Schlafplatz zwischen dem bunten Laub sucht und einschläft.


Tags darauf fällt der erste Schnee.


Karl hat es sich in seinem Kobel im Baum gemütlich gemacht. Wenn er aufwacht und seine Nüsse sucht, schaut er bei Lina vorbei: „Siehst du, ein Igel schläft einfach durch – träum etwas Schönes, Lina.


Im Frühjahr sehen wir uns wieder.“


Danke

Ich bedanke mich bei Bo für diese herbstliche Kurzgeschichte - passend zur aktuellen Jahreszeit. Bo ist Autor des Kinderbuchs "Kalle Pinguin". Wenn Du mehr über den Kinderbuchautor und seine Werke erfahren möchtest, besuch doch seine Website https://www.kalle-pinguin.de/ oder folge ihm auf Instagram @kalle_pinguin_de.



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